Back to mental freedom - Teil 1

Die Idee für diesen Blogartikel ist auf facebook entstanden. In der Gruppe „Mutiger klettern“ haben wir etwas zum Thema weich stürzen geschrieben. Einige Mitglieder verrieten uns, dass sie Angst haben, weich zu stürzen, weil sie schlechte Erfahrungen gemacht haben. Zum Teil mit sehr weiten Stürzen, manche sogar bis zum Boden. Diese Erfahrungen führten dazu, dass bei ihnen jeder Zentimeter beim Fallen ein ungutes Gefühlt auslöst. Das können wir nachempfinden. Doch deshalb wirklich lieber hart gesichert werden? Wir wissen: Wer weich gesichert wird, unterliegt einem geringeren Verletzungsrisiko. Und verringert langfristig sein Risiko für weitere negative Sturzerfahrungen. Doch wer weich stürzen will, muss mental frei sein. Und das ist umso schwerer, je traumatischer die bisherigen Erfahrungen.

 

Und nun kommt Mátés Geschichte ins Spiel. Er selbst hat auch einen Sturz bis zum Boden erlebt. Ihm ist es danach gelungen, zurück zu mentaler Freiheit zu gelangen. Wie ihm das gelungen ist? Er teilt mit uns seine Geschichte – und seine Strategie. In Teil 1 geht es um den essenziellen Kern dieses Prozesses, der sich hinter dem komplexen Begriff „konstruktive mentale Infrastruktur“ versteckt. In Teil 2 geht es um die praktischen Strategien. Viel Spaß beim Lesen!

Mein Weg zurück zur mentalen Freiheit

Ich (Máté) möchte mit Dir meine persönliche Geschichte und den Prozess dahinter teilen. Damit meine Praxis Deine Praxis inspirieren kann. Inspirieren! Denn Deine Geschichte ist sicherlich anders als Meine. Unser Ziel, wieder frei im Kopf klettern zu können, ist aber sicherlich das Gleiche!

Klettercoaching_am_fels

In der Entscheidung liegt die Kraft

Es ging schnell, 15 Meter, beinahe ungebremst. Keine 2 Sekunden. Der Hallenboden, auf dem es sich quasi Trampulinspringen lässt, ist bei meiner Landung hart wie Beton. Schreien, das Unfassbare verstehen wollen: „Warum ist diese Scheiße mir passiert?!“ Reges Gewusel und die gleichzeitige Stille sind in dem Moment egal… Nach einer gefühlten Ewigkeit, endlich die riesige Spritze. Morphium ist der Shit in diesem Moment!…

Niemand möchte diese Erfahrung machen, und genauso wenig wünschen wir jemandem anderen diese Erfahrung. Doch die Statistik macht keinen Halt vor der Realität!

 

Welche Entscheidung kannst Du im Vorfeld treffen?

Sichern ist eine Haltung! Kein Mensch ist unfehlbar, keine Erfahrung der Welt wird diese Unfehlbarkeit bereitstellen können. Wir können mutig sein und immer mit Neugier dazu lernen wollen. Im Austausch mit der Community aus Fehlern der anderen lernen. Die ganze Fülle der Kleinigkeiten mit Aufmerksamkeit aufsaugen, in Automatismen und Erfahrung verwandeln.

 

Entscheide Dich für diese Haltung, um das Risiko zu minimieren!

 

Welche Entscheidung kann ich nach einem traumatischen Sturzerlebnis treffen?

Anprallverletzung, Grounder, unerwartete Sturzerfahrung, Materialversagen…. Wenn die Kacke am dampfen ist, ist sie am dampfen. Wut, Trauer, Mutlosigkeit, Selbstschutz sind nur natürliche Reaktionen, um in Zukunft Ähnliches zu verhindern. ABER sie sind vergänglich! Sie sind eine wertvolle Momentaufnahme. Wir Menschen können langfristig darüber entscheiden, wie wir zukunftsgerichtet mit diesen Gefühlen umgehen. Du (und nur Du) kannst die Entscheidung treffen, diese wertvolle Momentaufnahme anzunehmen und als natürliche Reaktion deiner Menschlichkeit zu betrachten. Und nur Du kannst Dich dafür entscheiden, langfristig Strategien zu entwickeln, um mit der traumatischen Erfahrung umzugehen.

 

Entscheide Dich für die Auseinandersetzung mit der Erfahrung und ärgere Dich nicht über Deine Angst!

 

Im Krankenhaus angekommen, immer noch berauscht, wusste und fühlte ich: Ich werfe meinem Sicherungspartner & Freund keine Böswilligkeit oder Dummheit vor. Seine menschliche Unfehlbarkeit hat zu meinem Unfall beigetragen. Nicht seine Person oder sein Character. Es hätte mir genauso passieren können! Ich wusste, ich habe schon andere Dinge in meinem Leben gemeistert. An einigen bin ich natürlich auch gescheitert, erfreulicherweise kann meine Person in solchen Momenten diese jedoch ausblenden. Das, was mir bleibt, ist das Wissen über meine Kraft, meine Positivität. Ich hatte keinen Zweifel, dass ich es schaffen kann, mit meinem Trauma umzugehen!

Das verborgene Potenzial zur Zuversicht

„Aber Máté, wenn ich nun mal kein zuversichtlicher Mensch bin?“…. Dann ist der Mangel an Zuversicht vermutlich auch eine Reaktion auf eine frühere Erfahrung. Hiervon auszugehen, lässt nämlich hoffen! Darauf, dass lediglich die Erfahrung zu diesem Mangel beigetragen hat. Und eine andere Erfahrung wieder diesen Mangel auflösen kann. Bestimmt behaupte ich nicht, dass das einfach ist. Dieses Thema füllt ganze Bücher und verdient mindestens einen eigenen Blogartikel und einiges an Auseinandersetzungsarbeit ;). Du kannst allerdings mal anfangen, all Deine wertvollen Erfahrungen, die Dich persönlich in Deiner Kraft und deinem Optimismus unterstützen können, auszugraben. Ich bin mir sicher, Du wirst fündig!

 

Mönchhafte Aufgabe: Grabe nach den konstruktiven und wertvollen Erfahrungen und Haltungen aus Deiner Vergangenheit!

In der Demut liegt das Potenzial

„Das einzige was ich weiß ist, dass ich nichts weiß.“ Sokrates‘ Gedanke sorgt dafür, dass ich demütig sein kann. Er hilft mir dabei, dass ich anderen Menschen, Ansichten & Theorien gegenüber offen und neugierig bleiben kann. Nicht immer natürlich! Die Erfahrung hat aber gezeigt: Schaffe ich es, dann kann ich danach IMMER Früchte ernten. Vielleicht nicht sofort, vielleicht erst Jahre später. Madig, dass schnelle Lieferzeiten im Onlineversand und unser Bildungssystem unser Prozessdenken vernebeln… 

 

Ich habe es manchmal geschafft! Ich habe mir Unterstützung geholt. Bücher gelesen, probiert, gescheitert, umgesetzt. An einem einwöchigem Mentaltraining für Kletternde teilgenommen. Alternative Kommunikationsstrategien kennengelernt und ausprobiert. Für den Dialog mit mir selbst und meinen Mitmenschen. Ich gebe zu, mein Stolz steht meiner Demut auch im Wege. Sicherlich hätte ich mir auch intensive therapeutische Unterstützung holen können… Was zählt: Meine Demut hat ausgereicht um genug Neugierde und Mut aufzubringen, mich selbst mit meinem Trauma ausführlich zu beschäftigen.

 

Scham und Stolz sind vermutlich wertvolle menschliche Reaktionen, um mit gesellschaftlichen äußeren Einwirkungen auf unsere Person klar zu kommen. Sie haben ihre Berechtigung! Und hindern uns, demütig und mutig zu sein… Ups, noch eine Baustelle im leben entdeckt …:).

Stetiger Prozess

Eine Grundproblematik unseres Menschseins: Wir erwarten SOFORT Ergebnisse und Veränderungen. Ich denke wieder an Lieferzeiten… Gesellschaftliches Zusammenleben erfordert häufig Effizienz und sofortigen Wachstum (zumindest unser jetziges Zusammenleben). Nach meinen Werten und Erfahrungen stehen diese Vorstellungen im Widerspruch zu unserer Menschlichkeit. Veränderungsprozesse sind erstmal von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Nicht nur was die Dauer angeht, sondern auch strukturell. Wer bringt welche Voraussetzungen mit, hat welche Geschichten, wie bedingen sich Erfahrungen gegenseitig. Fucking komplex! Diesem Gedanken können wir mehr Aufmerksamkeit schenken! Wovon ich überzeugt bin: Wir unterschätzen die Dauer von Veränderungsprozessen maßlos!

 

Ändere Deine Zielvorgaben: „Ich möchte lernen, mit meiner traumatischen Erfahrung umzugehen und nehme den realen Weg dafür in Kauf. Ich bin geduldig, denn ich weiß, dass solche Prozesse Jahre intensiver Arbeit in Anspruch nehmen können.“

Strategies for Life!

Was meine ich mit einer Strategie? Eine Strategie ist ein bewusster (nicht automatisierter) Prozess, der meine Aufmerksamkeit und Energie erfordert. Warum sollte ich denn so was anstrengendes tun? Weil auf diese Art und Weise automatisierte Prozesse (Emotionale Reaktionen, Trigger,…) verändert werden können. Und das macht Sinn, wenn diese Prozesse für uns hinderlich sind. Weil sie uns nicht frei im Kopf klettern lassen. Das Schöne ist: Wir können NEUE, wertvolle, nichthinderliche Automatismen durch diesen anfänglich aufmerksamen Prozess entwickeln. Diese laufen irgendwann im Background ab und erfordern kaum mehr Energie! Was für ein Gewinn für unser Mindset, unsere Glaubenssätze und Ängste!

 

Als ich nach ein paar Wochen intensiver Reha wieder einen Gurt anziehe, um im Toprope und vollgepumpt mit Schmerzmitteln ein paar Bewegungen nach oben zu machen, kommen mir die Tränen… vor ein paar Wochen konnte ich nicht einmal aus dem Bett aufstehen und auf die Schüssel gehen. Ich verspüre die Dankbarkeit dafür, dass mein Körper von sich alleine so große Fortschritte und Genesungsprozesse durchmacht. Das motiviert mich: Mein Geist kann das auch! Ich kann das auch und zum Glück liebe ich konstruktive Strategien ;).

...ich will endlich wissen, was ich konkret tun kann!

„Mein Gott Máté, das habe ich alles schon irgendwo gehört, Zuversicht, Geduld, Prozess blablabla. Sag mir endlich, was ich tun kann, um wieder meine Sturzangst zu verlieren!“

 

Du meinst, Du hast das alles schon mal gehört, was Du oben gelesen hast? Ich frage Dich: Lebst Du das denn auch?

 

Die einzelnen Gedanken von Oben sind Bausteine einer kontruktiven mentalen Infratruktur. What the f****? Mentale Infrastruktur bedeutet in diesem Sinne strukturelle Gedankenmuster. Wie reagierst Du auf Deine eigenen Gedanken und Emotionen? Destruktiv wäre: „Ich habe schon wieder Angst, über den Haken zu klettern, mein Gott bin ich ein Schwachmat!“ Zerstörerisch, weil Dich diese Gedanken immer mehr in Deiner Angst gefangen halten. Warum? Ganz einfach: Weil Du durch diese Aussagen einfach nicht rauskommst. Ein praktischer und ehrlicher Beweis für die Unwirksamkeit. Konstruktiv wäre: „Ich merke gerade, dass ich nicht über den Haken klettern kann. Okey, ich will dahinterkommen, warum. Fehlt mir die Zuversicht, den nächsten Griff halten zu können? Oder habe ich mal eine schlechte Sturzerfahrung in einer ähnlichen Situation gemacht?…“ Diese Gedanken bringen Dich weiter, denn sie unterstützen Dich konstruktiv, einen Weg zu finden. Deinen Weg, um Dich mit Deiner Angst auseinanderzusetzen!

 

Die meisten Menschen scheitern nicht an ihren Prozessen, weil ihnen das Wissen über die Strategien fehlt. Sondern weil ihnen eine konstruktive mentale Infrastruktur (Mindset) fehlt, um den Prozess leben zu können!

Mindset for Life!

Erst das Mindset, dann die Strategien!  Meine Erfahrung zeigt: Person A und Person B möchten wieder zu mehr mentaler Freiheit beim Klettern finden. Person A fängt hochmotiviert mit ein paar Strategien an. Person B bemüht sich zuerst um die kontruktive mentale Infrastruktur. Die Wahrscheinlichkeit, dass Person B langfristig motiviert und erfolgreich ist, ist groß. Und die Wahrscheinlichkeit, dass Person A nach kurzer Zeit frustriert und demotiviert aufgibt ist ebenfalls groß.

 

Ja, es ist eine große Herausforderung, das zu akzeptieren. Es ist manchmal unerträglich, langfristig zu denken. Es scheint leichter, den einfacheren Weg einzuschlagen. Du kannst entscheiden ;).

Fazit und gute Aussichten

Nochmals ein paar wichtige Komponente für Deine konstruktive mentale Infrastruktur:

1.  Die bewusste Entscheidung für den Weg…

2. … wird unterstützt durch Zuversicht.

3. Sei demütig und offen für…

4. … einen stetigen Prozess. 

5. Fokussiere Dich auf die kleinen Veränderungen, statt den großen erwartungsbehafteten Zielen.

 

6. Und jetzt wende die Strategien an!

 

Im zweiten Teil dieser Blogartikelserie geht es um die Strategien. Endlich! Ich schreibe über meine Strategien in meinem Prozess. Und gebe Inspiration für Deinen Prozess!