back to mental freedom - Teil 2

Im ersten Teil dieser Blogartikelreihe haben wir die Basis für mentale Freiheit gelegt: eine konstruktive mentale Infrastruktur. Sie beschreibt eine innere Haltung im Umgang mit mentalen Themen, die unerlässlich ist, um die Theorie in die Praxis umsetzen zu können. 

Und genau das ist das Thema vom zweiten Teil der Reihe: Wie kann ich nun praktisch an meinen mentalen Herausforderungen arbeiten?

 

Als Beispiel erzählt Máté seine Geschichte und den dazugehörigen Prozess. Welche Strategien haben ihn unterstützt, um wieder zu mehr mentaler Freiheit zu gelangen? Lass dich von diesen Strategien inspirieren und geh` deine Persönliche Herausforderung an!

Summary

Du bist bereit für die praktischen Strategien und du hast folgende nützlichen Haltungen beherzigt:

 

1. Du hast dich entschieden, dich deiner mentalen Herausforderung so stellen und den zeitlichen und geistigen Aufwand anzunehmen.

2. Du bist zuversichtlich, dass du diesen Weg erfolgreich gehen kannst und auch wirst.

3. Du bist demütig mit deiner ganzen Neugierde zu lernen und neues auszuprobieren.

4. Du erkennst den Weg als stetigen Prozess des Wachsens und Lernens an.

5. Du kannst dankbar für die kleinen Veränderungen sein, denn du weißt, dass nur diese der Realität entsprechen und dich an dein großes Ziel bringen werden.

Mentaltraining Klettern

In der Quelle liegt die Wurzel

Was ist passiert? Was ist dir zugestoßen? Weshalb will dein Kopf dich schützen? Manchmal liegt es auf der Hand, manchmal tiefer verborgen. Für mich ist es ganz klar: aus 15 Metern aufgrund eines Sicherungsfehlers gegroundet.

Oder ist die Sache doch nicht so einfach?

 

Die erste Herausforderung: Finde heraus, was für dich in Mangel geraten ist bzw. was du jetzt wieder brauchst, um deine mentale Hürde zu überwinden.

 

Ich entdecke für mich folgende Aspekte in meinem „Trauma“:

 

1. Mein allgemein gültiges Vertrauen zu den Sicherungspartnern ist gebrochen. Zu ALLEN Sicherungspartnern. 

 

2. Damit geht einher, dass ich lieber die Kontrolle behalten möchte. Denn die Verantwortung liegt wohl ausschließlich in meiner Hand, ich kann sie nicht an andere (in diesem Fall dem Sicherungspartner) abgeben.

 

3. Ich bekomme Höhenangst, umso weiter ich vom Boden wegkomme. Mein Geist erinnert mich daran, dass mein Unfall aus dieser großen Höhe passiert ist. 

 

Und was hast du für dich herausgefunden?

Nutze die Kraft der Kacke, die am dampfen war

Ich akzeptiere diese 3 Aspekte, die mir helfen, meine Erfahrung zu beschreiben und daraus zu lernen. Sich darüber lediglich zu ärgern, bringt mich kaum weiter und ich würde meinen Kopf nur noch tiefer in die Sch*** äh…. in den Sand stecken. Ich akzeptiere, weil ich weiß: Ich bin ein menschliches Wesen, das von Natur aus sich selbst schützen möchte. Um sich zu erhalten. Vertrauensverlust, Kontrollwunsch, Höhenangst – Sie schützen mich vor Enttäuschung sowie Verletzungen und helfen dabei, meine Selbstbestimmtheit wieder zu erlangen (Kontrolldrang). 

 

Und was hilft mir das Ganze nun, wenn ich verdammt nochmal so gerne klettern will, aber diese Aspekte mich nicht lassen, weil sie mich schützen wollen?! Für das Klettern nicht viel, ganz im Gegenteil…. für mein Überleben enorm viel! Und das gehört gewertschätzt.

 

Was bleibt mir übrig? Wieder Vertrauen aufzubauen. Wieder zu lernen, kontrolliert Kontrolle abzugeben. Meine Höhenangst zu relativieren.

 

Aufgabe:

Finde heraus, welche Aspekte und Mechanismen durch dein Erlebtes ausgelöst wurden. Benenne sie. Und schaue hinter die Kulisse, wovor schützen sie dich jetzt? Sei dankbar für diesen Schutz ;)!

Hilfe zur Selbsthilfe

Jetzt geht es darum, mit diesen Aspekten umgehen zu lernen. Ihnen nicht mehr so viel Raum zu geben. Und wie kannst du dafür sorgen? In dem du mit ihnen in den praktischen Dialog gehst. Indem du ihnen zeigst, dass sie nicht mehr Notwendig sind, weil du Strategien hast, die sie verzichtbar machen.

 

Verstehe das bitte nicht falsch, es geht nicht darum, diese Aspekte und Stimmen zu ignorieren! Sie behalten ihre Berechtigung und Wirksamkeit. Nur so, dass sie dich nicht mehr hindern…

 

 

 

1. Ich vertraue niemandem mehr.

Der Vertrauensmangel schützt mich. Aber Klettern kann man nun mal ohne Seilpartner nicht. Solo oder Bouldern wäre eine Option… Das wäre für mich weglaufen. Ich möchte ja klettern! 

 

Strategie:

Ich rede mit meinen potenziellen Sicherungspartnern über mein Problem. Ich erkläre, wie wichtig es mir ist, wieder vertrauen zu können. Ich erhalte meist Zustimmung! Ich bitte um konkrete Dinge: „Bitte schaue stets nach oben, wenn ich klettere. Bitte sichere mich mit wenig Schlappseil. Kannst du mir zeigen, wie du dein Sicherungsgerät bedienst?…“ Manchmal kann sich die Person darauf einstellen und manchmal nicht. Schön, dass ich mit meinen Freunden nicht auf allen erdenklichen Ebenen harmonieren muss! Dadurch werden manche meiner Freunde nicht mehr meine Kletterpartner. Ist auch in Ordnung! Ich ändere meine Werte zu diesem Thema: Ich muss nicht mit jeder Person klettern gehen, ich kann es mir aussuchen!

 

Wenn ich das Entgegenkommen meiner Sicherungspartner merke, bin ich bereit weiter zu gehen! Kleine Stürze mit redundanten Rahmenbedingungen (Knoten unter dem Sicherungsgerät….) zu probieren. Erfahrungen zu sammeln! Neue Erfahrungen, die sich einbrennen. Neue Erfahrungen, die meine alte negative Erfahrung überschreiben. Erfahrungen, die mich vertrauen lassen. Schritt für Schritt. Und noch mehr Erfahrungen! Es sind ja Tausende positive Erfahrungen notwendig um nur ein traumatisches zu Überschreiben!

 

Ich werde streng, versuche dabei nicht unausstehlich zu sein :)… Streng mit den Situationen. Ich verurteile meine Sicherungspartner nicht, wenn sie auf eine Art und Weise handeln, die mein Vertrauen wieder etwas herausfordern. Ich bin zuversichtlich, dass sie mich unterstützen wolle. Also bin ich geduldig und teile ihnen immer wieder aufs neue mit, was ich gerne beim Sichern hätte.

 

Zeit vergeht. Nach ca. 3 (!) Jahren und etlichen neuen Erfahrungen und vertrauensstärkenden Situationen kann ich wieder mehr Vertrauen. Jetzt gilt es: Vertrauen ist gut, blindes Vertrauen könnte mir wieder schaden. Die Waage zu halten ist schwierig, mit der Zeit werde ich darin besser. Zeit spielt keine Rolle, ich habe noch ein ganzes Leben davon!

 

 

 

2. Ich habe Angst, die Kontrolle abzugeben.

 

Ganz schöner Mist… ohne Kontrollverlust kann ich nicht an meinem Limit klettern. Ich kann nicht in Bereichen unterwegs sein, die außerhalb meine Kontrolle liegen. Ich kann nichts probieren, kann meine Grenzen nicht ausloten. Denn dazu gehört immer ein gewisser Kontrollverlust. Das sich Hineinwagen in ungewisse Gewässer.

 

Strategie:

Erstmal erkenne ich diesen Drang nach Kontrolle als etwas sehr Nützliches: Ich MUSS fokussierter und kontrollierter klettern. Ich bin nach meiner Reha viel am Bouldern. Ein Abspringen von über einem halben Meter über den Boden ist keine Option für meinen Rücken. Gleichzeitig habe ich Bock, mich zu fordern. Ich taste mich ran und verspüre nach einigen Monaten immer mehr Kontrolle und Fokus über meine Bewegungen. Was für ein Mehrwert für meine Bewegungsvielfalt!

 

Und nicht nur das! Das Gefühl der Kontrolle kann ich in Routen abrufen. Das Gefühl der Kontrolle hilft mir, immer mehr Selbstbewusstsein beim Klettern aufzubauen. Am Ende sogar um einiges mehr, als ich vor meinem Unfall besaß…. Es ist ein Prozess. Nach ca. einem Jahr habe ich so viel Kontrolle und Sicherheit bei meinen Bewegungen, dass ich sogar meinen Schwierigkeitsgrad ein bisschen erweitern kann… Ohne zu Fallen!

 

„Okey, lieber Máté, das heißt aber trotzdem nicht, dass du frei im Kopf bist. Du hast lediglich deine Angst durch Kontrolle ersetzt. Und was machst du in einer Route, in der du keine Kontrolle mehr hast? Dann bekommst du wieder Hosenschiss…“ Das stimmt, zu mindest ein bisschen.

 

Es geht nicht darum die Angst zu ignorieren, sondern darum, ihr in Situationen, in der Sie keine Berechtigung hat (also keine schützende Funktion), den Raum zu nehmen. Wenn ich beispielsweise 10 Meter über den Boden in der Kletterhalle bin, mein Partner voll aufmerksam bei der Sache ist und ein Fehlverhalten (beinahe) ausgeschlossen ist. Wenn ich mir sicher sein kann, dass ein Sturz in das Seil keine fatalen Folgen hat. Dann möchte ich keine Angst haben! Und ich kann diesen Raum, der normalerweise durch die Angst erfüllt wird durch etwas anderes füllen. Nämlich durch Kontrolle. Unser Bewusstsein ist nicht so Multitasking fähig, wie wir immer denken ;). Sprich wenn ich Angst habe, bin ich blockiert und nichts anderes geht mehr. Andersherum, wenn ich die Kontrolle spüre, den Flow und die Leichtigkeit spüre, ist kein Raum mehr für die Angst.

 

Ich habe also angefangen viel zu Projektieren, Sequenzen, Bewegungen und ganze Routen häufig hintereinander zu klettern. Die Gedanken an die Bewegungen, das Fehlen von Unsicherheit und das Gefühl der Kontrolle nahmen der Angst den Raum. Und gaben mir immer mehr Selbstbewusstsein für das Klettern. Gekoppelt mit meinem zunehmenden Vertrauen, das ich zu meinen ausgewählten Sicherungspartnern aufgebaut habe war ich meinem Ziel ein ganzes Stück näher gekommen!

 

Interessanterweise hat das bereits gereicht, um keine Angst mehr vor dem Fallen zu haben, wenn ich in Bodennähe kletterte…. Was für eine Ironie!

 

 

 

3. Ich habe Angst in großen Höhen.

 

Diese beiden Aspekte legten mit den Grundstein für den nächsten Schritt. Ich wollte auch in großen Höhen frei sein im Kopf. Das war und ist immernoch meine größte Herausforderung. Vielleicht auch weil ich vor meinem Unfall schon ein mulmiges Gefühl weit über dem Boden hatte. Diese Angst ist also mehr noch mit anderen Themen und Erfahrungen aus meinem Leben verknüpft. Ist tiefer eingebrandt.

 

Strategie:

Kontrolliert die Kontrolle abgeben. Oft, sehr oft und noch öfter! Ich habe das Falltraining in unterschiedliche Stufen eingeteilt. Kleine Stufen (Fallen in mittleren Höhen und nicht weit von der letzten Zwischensicherung weg) habe ich sehr häufig praktiziert. An jedem Klettertag, 20-40 mal! Mit den Kletterpartnern meines Vertrauens. So habe ich eine neue Geschichte geschrieben. Eine Geschichte, das nicht mit einem Bodensturz endet. Eine Geschichte, bei der Hunderte und Tausende Stürze in das Seil in großer Höhe mit einer Ladung im Seil enden. Wenn ich mich bereit fühlte, wagte ich den nächsten Schritt. Immer und immer wieder. Step by step. Nach ca. 4 Jahren ist es immer noch eine Herausforderung, vor dem ungeclippten Umlenker in das Seil zu fallen. Aber ich kann mittlerweile auf unzählige Situationen zurückgreifen, die nicht auf dem Boden geendet sind. Und es werden immer mehr!

 

In schweren Projekten stürze ich auch in den leichteren Runout stellen in das Seil. Um für das Worstcase vorbereitet zu sein. Wenn der Pump und die fehlende Kontrolle eigentlich Raum für Angst schaffen würden. Die Angst hat trotzdem weniger Raum, denn der Raum ist gefüllt von der Erinnerung an die ganzen positiven Sturzerfahrungen. Mittlerweile kann ich auch Onsight in großen Höhen von diesen Erfahrungen profitieren. Auch wenn die nächsten Züge voller Ungewissheit sind, hilft mir das Erinnern, um weiter zu klettern!

 

Aufgabe:

Welche kleinen Step by Step Stufen können dich unterstützen? Und dann gehe diese Schritte. Immer und immer öfter. Auch wenn die Überwindung groß ist. Schaff dir deine Rahmenbedingungen, sodass deine Bereitschaft steigt.

Stetes Abtropfen höhlt den Raum

Es ist und bleibt eine Herausforderung. Eine beständige Herausforderung. Es gibt Rückschritte. Und der Mensch neigt dazu, NUR diese wahrzunehmen. Und es wird Fortschritte geben! Ich beobachte meine Fortschritte im Jahresrythmus. Worin bin ich in den letzten 12 Monaten besser geworden? Freier geworden? Und dann kristallisieren sich die Fortschritte heraus! Und ich kann von Jahr zu Jahr welche erkennen. Und dankbar für sie sein.

 

Die drei Aspekte, die ich für mich beschrieben habe, sind eng miteinander verzahnt. Sie gehen Hand in Hand und könne nur schwer in der Praxis unabhängig voneinander betrachtet werden. Trotzdem macht es Sinn, sie zu benennen. Um Anhaltspunkte und Anker zu haben. Um in kleinen Schritten an der Herausforderung wachsen zu können!

 

Ich möchte nicht die Arbeit mit einem kletterspezifischen Trauma banalisieren. Sie ist alles andere als banal. Und gleichzeitig möchte ich dich ermuntern, dass du auch deinen Weg finden kannst. Einen langen, aber stetigen Weg, der dich langfristig bereichern wird. Dich freier machen wird.

 

Du hast alle Zeit der Welt ;).