Klettern und Yoga

Eine Seilschaft fürs Leben

Klettern – das ist in unseren Augen so viel mehr als nur Klettern. Beim Klettern beherrschen wir unseren Körper. Beim Klettern beherrschen wir unseren Geist. Beim Klettern beherrschen wir unseren Atem. Drei Aspekte, die Klettern und Yoga vereinen. Drei Aspekte, die Klettern und Yoga zu einer perfekten Kombination werden lassen.

 

Der Körper ist Dein Werkzeug

Einige positive Aspekte können wir schnell spüren, wenn wir Yoga praktizieren. Sie sind unmittelbar. Wie ein neues Werkzeug, das uns die Arbeit erleichtert. Sie betreffen unseren Körper, denn diesen nutzen wir beim Klettern als Werkzeug. Plötzlich können wir unseren Fuß auf einen Tritt heben, den wir zuvor nicht erreicht haben. Plötzlich haben wir mehr Kraft in der Schultermuskulatur. Plötzlich haben wir eine bessere Balance. Über die positiven körperlichen Aspekte, die uns Yoga bringt, wurde bereits viel erzählt. Es geht um Beweglichkeit, Balance und Kraft. Ganz nebenbei hilft Yoga auch dabei, der oft so schlechten Körperhaltung von Kletterer*Innen entgegenzuwirken. Während uns das Klettern eher einseitig trainiert, lenkt Yoga den Fokus auf unseren ganzen Körper. Ausgleichshaltungen zu den Asanas sind genauso wichtig, wie die Asanas selbst. Und noch viel wichtiger: Das Nachspüren. Beim Klettern trainieren wir unseren Körper „eher nebenbei“. Unser Fokus liegt auf der Route, auf dem nächsten Zug. Bei der Yoga-Praxis sind wir mit dem Fokus bei uns, bei unserem Körper. Wir spüren beispielsweise, was unseren verkürzten Muskeln guttut. Und wo wir an körperliche Grenzen stoßen. Die Wahrnehmung folgt dabei der Aufmerksamkeit. Das hilft uns dabei, unseren Fehlhaltungen auch im Alltag entgegenzuwirken. Yoga beugt auch Verletzungen vor, da flexible und gedehnte Muskeln weniger verletzungsanfällig sind. Nicht zuletzt verbessert Yoga Dein komplettes Körperbewusstsein. Du kannst Deine Bewegungen besser kontrollieren – das sorgt dafür, dass Du mit mehr Leichtigkeit und weniger Kraftverlust klettern kannst.

 

Klettern und Yoga

Der Geist ist Dein Motor

Nun zu den weniger offensichtlichen Aspekten. Zu denen, die Du nicht spürst, wenn Du darauf wartest, sondern die Dich überraschen, wenn Du nicht damit rechnest. Aber die trotzdem irgendwann da sind, wenn Du Dich darauf einlässt. Sie betreffen Deinen Motor beim Klettern. Deinen Kopf, Deine Psyche, Deine mentale Stärke. An dieser Stelle könnten wir darüber reden, dass Du beim Yoga lernst, Deine Komfortzone zu verlassen. Oder dass bei einer regelmäßigen Yoga-Praxis das Stresshormon Cortisol sinkt und zugleich Deine Stressresistenz steigt. Das alles hat natürlich positive Auswirkungen auf Dein Klettern.

 

 

Wir möchten Dir aber an dieser Stelle einen kleinen Einblick in die Yoga-Philosohie geben. Denn Yoga ist so viel mehr als das Praktizieren von Asanas auf der Matte. Yoga lässt sich eher als eine Lebensweise verstehen. Nun möchte nicht jeder den Weg zur Erleuchtung und Selbsterkenntnis gehen. Muss auch nicht. Aber bestimmte Aspekte der Yoga-Philosophie können uns Kletterer*Innen mental stärken. Ganz konkret möchte ich euch die so genannten 5 Kleshas vorstellen. Patanjali bezeichnet sie als Hindernisse auf dem Weg zu einem erfüllten Leben. Wir Kletterer*Innen könnten sie als Hindernisse auf dem Weg zum glücklichen Klettern bezeichnen.

Kleshas und ihre mögliche Bedeutung für Kletter*innen

1) Avidya = Unwissenheit, oder auch subjektive Wahrnehmung. In den seltensten Fällen gelingt es uns, Dinge neutral zu betrachten. Sofort geben wir eine Wertung hinein. Bei Kletterrouten: „Puh, die ist bestimmt schwer.“ oder „Die Griffe sind bestimmt schlecht.“ Und da wie oben bereits beschrieben die Wahrnehmung unserer Aufmerksamkeit folgt, werden wir die Route vielleicht auch so empfinden. Löse dich also bewusst von diesen wertenden Aussagen. Selbst wenn sie nur in Deinem Kopf stattfinden. Und steige einfach ein. Dann wirst Du sehen, wie die Route ist.

 

2) Asmita = Identifikation, oder das falsche Verständnis der eigenen Person. Wir werden in eine bestimmte Rolle, in eine Familie, in ein Geschlecht hineingeboren. Und identifizieren uns mit diesem „Ich“.  Auch beim Klettern. „Im Überhang bin ich schlecht.“ oder „Immer, wenn ich über Kanten klettern muss, habe ich Angst.“ Wir sind in diesen Rollen gefangen – und vergessen zwischendurch zu überprüfen, ob wir das überhaupt noch sind. Selbstüberschätzung auf der einen,  Minderwertigkeitsgefühle auf der anderen Seite sind die Folge. Wir sollten uns also viel öfter die Frage stellen: „Wer bin ich?“ oder konkret „Wer bin ich beim klettern?“ Denn vielleicht hat das Training längst geholfen. Vielleicht bereiten uns bestimmte Dinge längst keine Schwierigkeiten mehr.

 

3) Raga = Wollen, oder Gier. Der größte Wunsch von uns Menschen ist es, glücklich zu sein. Wir versuchen also alles, um glücksverheißende Erfahrungen zu machen. Und wenn wir diese gemacht haben, wollen wir mehr davon. Haben wir an einem Tag eine 8+ geklettert, bedeutet das nicht, dass wir das immer wieder schaffen. Und vor allem sollte das nicht heißen, dass wir uns an einem anderen Tag nicht mehr mit weniger zufrieden geben. Ein gesunder Ehrgeiz kann hilfreich sein, keine Frage. Aber ein übertriebenes Verlangen nach Erfolg kann sehr schädlich für uns sein. Und es kann uns den ganzen Spaß am Klettern nehmen.

 

4) Dvesha = Abneigung, oder unbegründete Ablehnung. Dies beginnt oft bei uns selbst, indem wir kritisch mit unserem äußeren Erscheinungsbild sind, uns selbst ablehnen. Viele Menschen lehnen leider auch andere Menschen ab. Sei es wegen ihres Glaubens, ihrer Hautfarbe oder ihrer politischen Einstellungen. Und genauso lehnen wir oft neue Dinge ab: Vielleicht neue Trainingsmethoden, neue Routen, neues Material. Das kann hinderlich sein. Für uns. Und für unser Potenzial.

 

5) Abhinivesha = Furcht. Im yogischen Sinne die Furcht vor dem Tod, im weiteren Sinne ist es aber jegliche Form von Angst. Die Angst ist das Hindernis, das für uns am schwersten zu überwinden ist. Beim Klettern begegnen vermutlich die meisten von uns der Angst. Und diejenigen, die ihr begegnen, wissen, wie sehr sie uns hindern kann. Daran, entspannt zu klettern, effizient zu klettern, glücklich zu klettern. Je weniger wir uns unseren Ängsten bewusst sind, desto größer sind sie. Eine bewusste Auseinandersetzung kann also helfen und ein erster Schritt sein, sie zu bewältigen.

 

 

 

Wie uns das Wissen über die Kleshas nun beim Klettern weiterbringt? Im ersten Schritt sollten wir uns bewusst machen, dass es sie gibt. Und dass die meisten Menschen unbewusst danach handeln. Mit unserem Bewusstsein können wir sie überwinden. Nicht sofort. Nicht alle auf einmal. Aber nach und nach. Und dann – im yogischen Sinne gesprochen: eins werden mit unserem Klettern 😊.