Ein brisantes Thema, vom Alpenverein und bergundsteigen oft durchgekaut, doch nicht oft genug! Immer noch passieren 50 % der Unfälle (Bodenstürze) in der Halle zwischen der 1. und 7. Exe (Bodennähe)! Sind die Kletterer dumm oder handeln sie verantwortungslos? Wir bei climBe Klettercoaching denken das nicht. Wir denken, dass vielen das Wissen fehlt. Vielleicht ist der Kletterkurs schon lange her, vielleicht hat sich keine Routine beim Stürzen eingestellt. Vielen fehlt deshalb ein Bild der Realität. Ein Bild der Konsequenz, passend zu einem Verhaltensmuster: die Gefahr bei ungünstigem Sicherungsverhalten.
Wir wollen das Thema nochmal durchkauen. Auf menschlicher Ebene. Und wir wollen euch konkrete Verhaltensstrategien vorschlagen!
Zwei Denkmuster sind ausschlaggebend für Grounder in Bodennähe:
1. Die sichernde Person überschätzt die kletternde Person. „Ja mei ge, der fällt hier no ned. Der ko das ja!“. Meistens. Nicht immer… Manchmal rutscht der Fuß einfach so ab, oder der Plastikgriff dreht sich… Einmal ist dann nicht mehr keinmal. Mit Konsequenzen!
ClimbTipp:
Gehe immer davon aus, dass dein*e Kletterpartner*in ins das Seil fallen könnte.
2. Die sichernde Person unterschätzt die Sturzhöhe. Also die Strecke zwischen Fallposition und baumelnde Endposition im Seil. Vor allem Schlappseil und Bremsweg sind hier die versteckten Faktoren! Puh und dann noch das ungünstige Klippverhalten…. Eine DAV Halle hat das veranschaulicht. Beeindruckend und beängstigend gleichzeitig! Achja und der Gewichtsunterschied ist ja auch noch da….
ClimbTipp:
Bei günstigem Sicherungsverhalten ist die Sturzweite das 4-6 fache des Abstandes zur letzten Zwichensicherung! Wenn dein*e Partner*in also 50 cm über die letzte Exe ist, sind das bis zu 3m. Bei ungünstigem Sicherungsverhalten kann es das 6-10 (?) fache betragen…. 5m!
Schlappseil, Schlappseil, Schlappseil! Jeder spricht davon, insbesondere davon, es NICHT zu haben / zu dürfen. Wir beobachten in der Halle viele Situationen mit Schlappseil. Wenn wir das ansprechen hören wir: „Hä, ich habe doch garkein Schlappseil!“ Wir führen das lediglich auf fehlendes Wissen und nicht auf Ignoranz zurück. Deshalb hier die Erklärung, was sich wirklich hinter diesem Begriff verbirgt, denn es stellt eines der größten Gefahren in Bodennähe da!
Wir wollen eine durchschnittliche Sicherungssituation durchgehen:
1. Versteckte Seilmenge: durch einen gewissen Abstand zur Wand und einen „Durchhang“ nach dem Sicherungsgerät, entsteht eine gewisse „Sicherungsseilmenge“. Nehmen wir an, bei einem Sturz wird die sichernde Person vollständig zur Wand gezogen, jedoch noch nicht hochgezogen. Jetzt ist die Seilmenge von dem Sicherungsgerät bis zur ersten Zwischensicherung also weniger geworden. Bei einem Abstand von 1,5 m zur Wand und einem Seildurchhang von 20 cm sind das 70 cm. 70 cm versteckte Seilmege! (grobe Berechnung siehe unten.)
2. Dynamische Seilmenge: manchmal wird die sichernde Person auch hochgezogen, sagen wir mal um 50 cm. Zusätzlich haben wir, optimistisch gerechnet 10 – 20 % Seildehnung, was uns ebenfalls um die 50 cm drauf schlägt. Wir sind also schon bei 1 m zusätzliche Seilmenge. Diese manifestiert sich direkt in der Hinabwärtsbewegung der kletternden Person.
1,7 unscheinbare Meter! + – … hättest Du damit gerechnet?
In Bodennähe sind knapp 2m daneben geschätzt schon einiges! Wie könnt ihr das als Seilschaft vermeiden? Wir wollen euch 8 Strategien vorstellen, die das Risiko eines Unfalls minimieren.
Dieses Konzept hat sich durchgesetzt. Eine Errungenschaft der Kletterszene! Beobachtungen zeigen, dass es sich nicht in allen Köpfen durchgesetzt hat. Klar, Erfahrung macht erfahren. Doch wir Menschen sind menschlich, weil wir Fehler machen. Auch, wenn wir erfahren sind. Fehler machen keine Ausnahme bei Erfahrenen Leuten.
Partnercheck ist so einfach, ein schönes Ritual, schafft Vertrauen.
ClimbTipp:
Auch wenn Dein Kletterpartner nicht drauf besteht, bestehe Du drauf! Verringere das Risiko! Benutze Deine Hände und Deine Augen.
Outoftopic: Erste Zwischensicherung…. welche ist das jetzt? Wir lassen, wenn möglich, die erste Zwischensicherung in der Halle auf etwa 3 Meter Höhe aus. Wenn es nicht geht, hängen wir sie bunt ein. Warum der Quark? Als sichernde Person hat man etwas mehr Spielraum, vor allem als leichtere Person. Mehr dazu lest ihr in unserem ClimBlog zum Thema „Sichern mit Gewichtsunterschied“.
Wenn Du Deinem Partner kommunizierst, mit welcher Hand Du die erste Zwischensicherung clippst (diese übrigens so früh wie möglich, lieber leicht überstreckt), kann er sich günstig auf der anderen Seite positionieren. Die Wahrscheinlichkeit einer Kollision beim Sturz wird verringert. Ebenso behindert Dich das Seil nicht beim weiterklettern.
ClimbTipp:
Nehme diesen Check in Deinen Partnercheck auf. Zeige Deinem Partner an welchem Griff du Dich beim Clippen vermutlich halten wirst. Wenn Du beispielsweise mit Links hältst und mit Rechts clippst, kann er sich rechts von dir positionieren.
Spotten hat Vor- und Nachteile. Draußen am Fels, bei abschüssigem Gelände voller Felsbrocken, kann ein gekonntes Spotten vor dem Krankenhausaufenthalt bewahren. GEKONNT! Konzentriertes Spotten in der Halle kann Dir helfen, Deinen Kopf und Rücken bei einem unkontrolliertem Dreher aus der Wand zu schützen. Du wirst nicht aufgefangen, lediglich auf den Boden „begleitet“.
Pseudo-Spotting (gemütlich dastehen und die Hände entspannt mit gespreizten Fingern an den Hintern der kletternden Person halten) kann im Falle eines Abrutschens zu Verletzungen in der gesamten Seilschaft führen.. Nicht selten herrscht auch nach dem Clippen der ersten Zwischensicherung Verwirrung über diese heldenhafte Tat und der Sicherer bleibt wie versteinert stehen, ohne das Sicherungsgerät zu bedienen.
ClimbTipp:
1. Entscheide Dich vor dem Losklettern, ob du gespottet werden möchtest und teile das Deinem Partner mit.
2. Umgehe das Problem mit dem bunten Vorclippen. Natürlich vorsichtig, denn auch hier kann sich mal ein großer Henkel drehen.
Nun, damit es nicht zu verhängnisvollen Seilverhängeaktionen um den Körper kommt, sollte das Seil NEBEN Dir laufen. Die Entwirrung durch den Sicherungspartner kann bei ihm für Verwirrung und damit Schlappseil sorgen, was wiederum an der ersten Zwischensicherung besonders ungünstige Konsequenzen haben kann.
Außerdem möchtest Du ein Sturz in die 1. Zwischensicherung nicht Deinen Genitalien zumuten. Deshalb sollte das Seil mindestens bis zum Clippen der 2. Zwischensicherung neben den Füßen verlaufen.
ClimbTipp:
Ergänze den ClimbTipp 2 durch folgendes: Nach dem Auschecken des Routenverlaufes bis zur ersten Zwischensicherung legst Du das Seil gleich NEBEN das Bein, passend zur Clipphand. Rechts clippt, Seil neben dem rechten Bein. Wenn Du zwischen der 1. und 2. Zwischensicherung über das Seil steigen musst, steigst Du wenn möglich (wie Analena in unserem Video) mit den Füßen danach zügig wieder neben das Seil, um es bei einem Sturz nicht zwischen die Beine zu bekommen.
In Bodennähe kann es auch bei perfektem Sicherungsverhalten dazu kommen, dass der Kletterer bei einem Sturz mit dem Sicherungspartner kollidiert. In unserem Video kann man das in der Einleitsequenz als Realität gut beobachten. Eine frontale „auf den Kopf“ Kollision lässt sich durch eine seitliche Positionierung zum Seilverlauf gut vermeiden. Beim Flug nach unten, bzw. nach oben, bleibt somit noch ein wenig Puffer!
ClimbTipp:
Bewege Dich zwischen 1. und 4. Zwischensicherung aktiv. Beobachte Deinen Partner und stelle dich immer leicht schräg auf die entgegengesetzte Seite vom Seil. Dreh Dich nicht zu weit zur Seite, denn sonst könntest Du bei einem heftigen Ruck die Kontrolle Deines Sicherungsgerätes verlieren. Wenn die 4. Zwischensicherung geclippt ist, kannst Du Dich wieder in die frontale Linie des Seils begeben.
Wir haben das oben gemeinsam durchgekaut! Zur versteckten Seilmenge kommt noch das offensichtliche Schlappseil und die Dynamik beim Sichern… Macht am Ende bei ungünstigen Konstellationen 2-4 Meter zusätzlich zur eigentlichen Sturzweite… Also das ist krass und sehr beängstigend! Und schlauer durch die Praxis sind wir erst, wenn es schon passiert ist, doch dann wünschen wir uns, wir hätten Bescheid gewusst. Jetzt weißt Du Bescheid!
ClimbTipp:
Sei voll dabei, wenn Dein Partner klettert! Wir wollen Dir die Strategie des Bewegungsseiles mitgeben: stell Dir vor, wie das Seil noch nicht unter Spannung ist, also kurz vor dem „Zumachen“. Dann läuft es sehr gerade. Addiere nun 5 cm. Das ist Dein Bewegungsseil bis zur zweiten Zwischensicherung. Addiere danach 5cm bis zur 6. Zwischensicherung. 10 cm Bewegungsseil also.
„Aber dann hat er doch das Gefühl, er hätte nicht genug Seil?!“
Du bist nicht nur Sicherer, Du bist auch Assistent, Du bist auch Freund, du bist so viel mehr, als nur der, der das Seil festhältt! Beobachte, schau wann er zum Seil greift, gib kurz davor die richtige Menge zum Clippen aus. Beobachte seine Bewegungen, von links nach rechts, vor und zurück. Gib in kleinen Mengen aus, verkürze wieder. Arbeite mit dem Kletterer zusammen!
Stabilität beim Clippen erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Du gar nicht erst während dem Clippen fällst. Klar, Du kannst abrutschen, der Griff kann sich drehen / ausbrechen. Du kannst aber dafür sorgen, dass die Tür zum Beispiel nicht aufgeht!
Jeder Zentimeter, den du zum Clippen am Seil ziehst, zählt als Schlappseil. Das Thema hatten wir jetzt schon zweimal ;). Optimal wäre also, wenn Du immer auf Hüfthöhe clippen würdest, denn dann hättest Du kein zusätzliches Schlappseil. Clippst Du überstreckt (mit maximal ausgestreckten Armen), unstabil auf Deinen Zehenspitzen, hast Du um die 2 Meter Schlappseil und gleichzeitig Labilität…
ClimbTipp:
In der Praxis clippt kaum jemand konsequet auf Hüfthöhe…. Draußen am Felsen sind die Haken oft so weit über Dir gesetzt, dass Du vom guten Griff gerade hinkommst. Dafür aber stabiler stehst, als in den Moves davor.
1. Priorität hat die Stabilität. Sei ehrlich zu Dir! Die Wahrscheinlichkeit eines Strurzes während dem Clippen ist reduziert. Ein Restrisiko bleibt, darüber weißt Du nun Bescheid!
2. Priorität hat die Clipphöhe: realistisch und entspannt zwischen Bauchnabel und Stirn… bist Du in jeder Position um den Haken herum instabil, muss es schnell gehen! Umso weniger Seil Du rausziehen musst, umso schneller geht das Clippen!
Stehst Du weiter weg, kannst Du entspannter den Kletterer sehen, hast dadurch vielleicht das Gefühl der Kontrolle… Die Realität: bei 2 Meter Abstand bekommst du die halbe Sturzenergie als frontalen Zug nach vorne zu spüren. 100 kg Zugenergie kann vielleicht der beste Gewichtheber gegenhalten. Die ruckartigen 2 Meter zur Wand manifestieren sich als Schlappseilmenge und als möglichen Kontrollverlust über das Sicherungsgerät. Fatal! Diesen Überraschungsmoment wirst Du und der Kletterer niemals vergessen…. Keine Sorge, Du kannst ziemlich simpel solch eine Situation verhindern!
ClimTipp:
Bleib in jeder Situation nah an der Wand! 1 Meter ist die Lehrmeinung. Die Climbe-Meinung ist ein Schritt, weil das einfacher zu messen ist. Das gilt zur Seite und auch nach vorne zur Wand. Trage eine Sicherungsbrille, die Du ab der 3. Zwischensicherung auf die Nase schiebst. Du hast Sichtkontakt, schaffst dadurch Vertrauen und hast die Kontrolle! „Na und wenn ich mal meine Brille vergesse?!“ Deinen Gurt vergisst Du auch nicht und ohne Deine Schuhe kannst Du auch nicht klettern ;).
Für uns im ClimbTeam gibt es keine Ausreden. Keine Faulheit beim Sichern. Kein Flirten in der Nachbarroute. Für uns gibt es beim Sichern nur den Kletterer! Wir wollen uns gegenseitig vertrauen, um am Limit klettern zu können. Wir wollen wissen, dass wir in jeder Situation in sicheren Händen sind.
„Ja mei, aber es passiert doch nix!“ – meistens. Wenn ja, haben beide danach mit einem Trauma zu kämpfen.
Wir wollen auf alle Situationen, so gut wie möglich vorbereitet sein. Und wir wollen euch als Seilschaft auch auf alle Situationen vorbereiten! Beispielsweise in unserem Sturz- und Sicherungstraining.
Schreibe uns, ruf uns an, besuche uns… welcher Weg auch immer Dich zu uns führt: Wir freuen uns auf Dich!
team@climbe.de
Tel.: 01573-7810193 (Máté Matolcsi)
climbe – Analena Rischpler und Máté Matolcsi GbR
Agricolastraße 64 – München – team@climbe.de
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