Über die Freiheit, bestens gesichert zu werden

Die Philosophie des Kletterns” ist eine schöne Lektüre, die dazu anregt, das Klettern auf einer tieferen Ebene zu betrachten.  Was bewegt uns Menschen dazu, zu klettern? Warum setzen wir uns einem vermeintlichen Risiko aus? Mit kleinen Essays versuchen unterschiedliche Personen Antworten auf diese Fragen zu geben und inspirieren dabei, das eigene Klettern zu erforschen.

Freiheit beim Sichern

Das Erleben der Freiheit beim Klettern.

Wie ein roter Faden zieht sich der Aspekt “Freiheit” gewollt oder ungewollt durch die Beiträge. Und auch wenn wir selbst über unsere Motivation sinnieren oder Zitate von großen Kletter*innen lesen, merken wir, dass das Erleben von Freiheit eine wichtige Rolle beim Klettern spielt. Objektiv gesehen gibt es viele Momente beim Klettern, bei denen wir alles andere als frei sind: Stelle Dir vor, Du bist zwei Meter über dem Haken, kommst an die Schlüsselstelle und bist gezwungen, eine kleine Leiste zuzupacken, um den nächsten Zug zu schaffen und nicht zu Stürzen. Verstehen wir Freiheit in dem Sinne, dass wir besonders viele Wahlmöglichkeiten haben, trifft das in diesem Moment wohl kaum zu. Dennoch: Im Erleben unserer Kletterei scheint sich dieser Widerspruch in vielen Fällen aufzulösen. Einige empfinden sogar ein Freiheitsgefühl bei einer Free Solo Besteigung. Wir würden hier eher Todesangst erleben. Was bedeutet also Freiheit beim Klettern für uns? Wir erleben sie beim Sportklettern, wo wir unseren Sicherungspartne*innen am Boden vertrauen und so im Flow am Limit klettern können. Für unsere persönliche Freiheit beim Klettern brauchen wir  also das Vertrauen, gut gesichert zu werden. Das bedeutet, dass die sichernde Person am Boden ihr bestes tut, um uns vor Verletzungen und Abstürzen zu beschützen. Und hier kommt eine spannende Frage auf: Was bedeutet das eigentlich für die Freiheit, die die sichernde Person erlebt? 

 

Welchen Platz hat Freiheit beim Sichern?

Beim Thema Sichern und Freiheit ergibt sich ein neuer Widerspruch, der vielleicht noch größer ist als beim Thema Klettern und Freiheit. Und vielleicht sorgt dieser Widerspruch dafür, dass Diskussionen über das Thema “Richtig Sichern” oft emotional und persönlich werden. So, wie wir es beispielsweise auf facebook erlebt haben, als wir unsere Kampagne “Hände weg vom Gerät” gestartet haben. 

 

Beim Sichern gibt es keine absolute Freiheit bei der Wahl der Sicherungsmethodik. Die Entwicklung der Sicherungsgeschichte strebt auf Handlungsempfehlungen hin, die das Klettern immer sicherer machen sollen. Im Sinne der Unversehrtheit aller Kletter*innen. Auch die entsprechende “Hardware”, also unsere Sicherungsgeräte, haben sich immer weiterentwickelt. Während beim Sichern mit Achter die 100% Verantwortung bei der sichernden Person lag, unterstützen uns Halbautomaten nun dabei, unseren Job gut zu erfüllen. Nehmen sie uns Verantwortung und geben sie uns Freiheit? Wir denken, dass das nicht so ist. Sie verzeihen lediglich kleinere Fehler und schaffen Sicherheitsreserven, die wiederum unsere*n Kletterpartner*innen ein größeres Gefühl von Freiheit verschaffen. Diskussionen über die Verwendung von Tubes beim Sportklettern zeigen auch hier: Viele empfinden eine Empfehlung beispielsweise des DAVs für die Verwendung von Halbautomaten als eine Einschränkung ihrer Freiheit und der Verzicht auf eben diese fällt ihnen schwer. 

 

Und das hat uns dazu veranlasst, darüber nachzudenken, ob sich der Freiheitsbegriff für die sichernde Person nicht auf eine ganz andere Art und Weise definieren lässt. Als sichernde Person können wir Freiheit empfinden, die sich durch Sorglosigkeit über eines möglichen Unfalls entfaltet. Wir alle wollen unsere Kletterpartner*innen sicher zurück zum Boden bringen. Ist es nicht also auch ein Gefühl von Freiheit, wenn wir keine Angst haben müssen, dass das schief gehen könnte? Dafür brauchen wir Klarheit darüber, welche Methodik wir wählen sollten, um für die Unversehrtheit unserer Kletterpartner*innen zu sorgen.

 

Die sicherste Handlungsempfehlung…

… gibt es noch nicht, denn sonst würden keine Unfälle passieren. Und somit hinterfragen wir mit Trainerkollegen gemeinsam bestehende Handlungsempfehlungen. Im Rahmen der “Hände weg Kampagne” zum Beispiel. Es gibt eine Handlungsempfehlung von Herstellern, gestützt durch Lehrmeinungen, die das Sichern mit Rüsselgeräten beschreibt. Und ja, so viel passiert nun auch nicht. Doch ich habe an meinem eigenen Körper das Versagen dieser Handlungsempfehlung gespürt. Und ich habe immer noch das dumpfe Geräusch eines Grounders in den Ohren, der aufgrund einer falsch ausgeführter Handlungsempfehlung in der Nachbarseilschaft passiert ist. Es gibt die DAV Unfallstatistik, die ebenso zahlen zu Unfällen mit Rüsselgeräten liefert. Und wir kennen Geschichten von beinahe Unfällen. Diese Unfälle sind also Realität! 

Der Anspruch an eine Handlungsempfehlung

Handlungsempfehlungen zum sicheren Sichern müssen unseres Erachtens nach folgenden Kriterien folgen:

 

  1. Sicherheit. Bedeutet in diesem Kontext: Das Halten von Stürzen ist mit Rüsselgeräten nur dann garantiert (also zu 100% sichergestellt), wenn das Gerät korrekt bedient wird. Bremshandprinzip, Bremshandposition, uneingeschränke mechanische Funktion des Sicherungsgerätes, abestimmte Materialwahl (Seildicke, Karabinerwahl…)
  2. Flexibilität. Die Handlungsempfehlung muss in jeder erdenklichen Situation (z.B.: schnelles Seilausgeben von großen Mengen an Seil…) praktikabel sein.
  3. Erlernbarkeit. Die sichere Bedienung eines Sicherungsgeräts sollte möglichst einfach erlernbar sein, dazu sollte die Komplexität möglichst gering sein. Die Einfachheit führt dazu, dass die in einem Kletterkurs erworbene Sicherungskompetenz nachhaltig mit hoher Sicherheit angewandt werden kann. Die Nutzer*innen (Sicher*innen) müssen diese Methodik erlernen können.
  4. Kontinuität. Damit ist gemeint, dass die erlernte Sicherungsmethodik mit Leichtigkeit kontinuierlich angewandt werden kann, ohne auf “Abkürzungen” (durch Reflexe z.B.)  auszuweichen, die auf Kosten der Sicherheit gehen (z.B. Öffnung der Bremshand, Hebel durchreißen mit Grigri beim Ablassvorgang.).

 

Im Zuge unserer “Hände weg vom Gerät”-Kampagne gemeinsam mit János von „Die Kletterschule“ testen wir gerade unterschiedliche Methoden zur Bedienung von Rüsselgeräten auf diese Kriterien. Außerdem testen wir, was passieren kann, wenn bestimmte Kriterien nicht erfüllt sind. Wir werden unsere Ergebnisse hier weiterhin mit euch teilen! 

 

Noch mehr Freiheit?

Die Sorglosigkeit über eines möglichen Unfalls kann uns als sichernde Person ein Gefühl von Freiheit verschaffen. Doch auch darüber hinaus können wir frei sein. Unsere Freiheit besteht darin, unser Gewohntes abzulegen und uns Neues anzueignen. Wir sind frei, uns dafür zu entscheiden! Und natürlich sind wir auch frei, Neues zu hinterfragen. Wenn wir gemeinsam im Zuge unserer Kampagne “Hände weg vom Gerät” Empfehlungen abgeben, wollen wir niemanden in seiner Freiheit beschränken.  Doch wir wollen gemeinsam nach einer Handlungsempfehlung suchen, die uns ein Gefühl von Sorglosigkeit vor Unfällen verschaffen und damit zu mehr Vertrauen in Seilschaften beitragen kann. Und die nicht zuletzt damit auch mehr Freiheit für die kletternde Person bringt.