Klettern ist ein sehr sicherer Sport! Davon sind wir überzeugt. Vorausgesetzt, wir beachten alle sicherheitsrelevanten Aspekte. Auch die Statistik gibt uns Recht: In der DAV-Kletterhallenunfallstatistik 2019 heißt es, dass das Unfallrisiko beim Klettern pro 1.000 Stunden bei 0,02 liegt. Im Gegensatz zu 1,0 beim Skifahren oder 9,8 beim Basketball ist das doch sehr gering. Wir müssen also 50.000 Stunden klettern, bis wir statistisch gesehen einen Unfall mit RTW Einsatz haben.
Doch nun zum heiklen Punkt: Wenn beim Klettern Unfälle passieren, ist das Verletzungsrisiko groß! Und: Wir denken, dass es vielleicht noch sicherer gehen könnte. Wie? Das möchten wir euch in diesem und folgenden Artikeln erläutern.
In der DAV Unfallstatistik 2019 wurden insgesamt 66 Kletterunfälle genauer analysiert. Bei 30 der Unfälle handelte es sich um Bodenstürze. 4 davon lassen sich auf einen mangelnden Partnercheck zurückführen, der Rest geht auf Fehler bei der Bedienung des Sicherungsgeräts zurück. Puh, menschliches Versagen also! 17 der Unfälle passierten mit diversen Halbautomaten, die wir doch als so sicher wahrnehmen. Wir sind uns sicher: Keiner von uns möchte seine*n Kletterpartner*in auf den Boden stürzen lassen. Richtig? Dann können wir vielleicht gemeinsam das Sichern noch etwas sicherer machen.
Wie kann es zu solchen Unfällen kommen? Immer wieder beobachten wir Seilschaften und ihr Sicherungsverhalten. Von groben Fehlern bis hin zu einem Handling, wie es der Hersteller empfiehlt, ist vieles dabei. Wir möchten hier ausdrücklich betonen, dass wir Wertschätzung für alle ausdrücken möchten, die sich an die Herstellerempfehlung halten. Denn aktuell ist es die sicherste kommunizierte Methode und spricht dafür, dass jede*r sein absolut Bestes gibt, seine*n Kletterpartner*in perfekt zu sichern. Doch ist die Herstellerempfehlung für die Bedienung von Halbautomaten wirklich immer die sicherste Methode? Die Geschichte des Grigris hat uns gezeigt: Methoden werden weiterentwickelt. Die „Gaswerk“-Methode hat das Grigri deutlich sicherer gemacht. Entwickelt wurde sie erst nach der Markteinführung. Gemeinsam mit unserem Freund und Trainerkollegen János von „Die Kletterschule“ setzen wir uns viel mit der Frage auseinander, wie wir beim Sichern so viele Risiken wie möglich ausschließen können und welche Methoden wir in unseren Kletterkursen vermitteln, um das Unfallrisiko so gering wie möglich zu halten. Wir haben angefangen, zu hinterfragen, ob die Hersteller wirklich immer die sicherste Methode empfehlen. Oder ob es nicht vielleicht noch ein bisschen sicherer geht.
„Es geht noch sicherer“, sagt János. „Nämlich, wenn wir es möglichst vermeiden, das Gerät beim Seilausgeben anzufassen.“ Warum also nur sicher, wenn es auch sicherer geht?
Ok. Nun kommen vielleicht Bedenken: „Wie soll ich denn schnell Seil ausgeben, ohne das Gerät anzufassen?“ Routinen zu ändern, fällt uns allen ja bekanntlich nicht so leicht. Aber hoffentlich sind wir uns einig darin, dass wir alle unser absolut Bestes geben wollen, um unsere*n Kletterpartner*in stets in sicheren Händen zu wissen. Gut, das ist doch schon mal ein Anfang und wenn ihr auch dieses Ziel verfolgt, lohnt es sich in jedem Fall, weiterzulesen!
Bei den folgenden Aussagen beziehen wir uns vor allem auf Autotubes mit Hebel. Warum soll es nun also sicherer sein, wenn wir diese beim Seilausgeben nicht anfassen? Das hat zwei Gründe, die sehr eng miteinander zusammenhängen:
Wenn wir das Gerät beim Seilausgeben anfassen, greifen wir in den Blockiermechanismus der Halbautomaten ein. Wenn wir den Hebel bei Autotubes mit dem Daumen nach oben ziehen (wie es die Hersteller in ihren Bedienungsanleitungen empfehlen), setzen wir damit für den Moment des Seilausgebens den Blockiermechanismus außer Kraft. Kommt es in dem Moment zu einem Sturz und kommen ein paar weitere unglückliche Umstände zusammen, blockiert das Gerät nicht und die Kletternde fällt bis zum Boden. Beispiel: Der Schreckmoment sorgt reflexartig dafür, dass die sichernde Person den Hebel weiter nach oben zieht und leicht die Finger vom Bremsseil löst, anstatt das Gerät loszulassen und das Bremsseil fest zu umgreifen. Beim Seilausgeben wird es immer mal wieder vorkommen, dass ein Halbautomat blockiert. Unser Ziel bei Entblockieren sollte aber sein, möglichst viele Sicherheitsreserven aufzubauen. Wir werden das in weiteren Beiträgen noch genauer erläutern.
Meist ist es unsere Bremshand, die den Halbautomaten beim Seilausgeben anfasst. Wir bleiben beim Beispiel der Autotubes mit Hebel: Wir heben mit unserem Daumen der Bremshand den Hebel ein Stückchen an, um das Gerät zu entblockieren. Damit befindet sich die Hand nicht mehr unter dem Gerät, sondern fast auf gleicher Höhe des Geräts. Wir verlassen also die perfekte Position. Hinzu kommt, dass unsere Bremshand automatisch die sicherste Variante am Bremsseil verlässt – nämlich geschlossen und mit dem Daumen als „Wächter“ kontrolliert. Ziehen wir mit dem Daumen den Hebel des Geräts nach oben, öffnet sich oft (so unsere Beobachtungen) die restliche Hand ein Stück weit vom Bremsseil. In Kombination mit dem in Grund 1 beschriebenen Eingreifen in den Blockiermechanismus, werden die Sicherheitsreserven damit immer geringer. Je größer der Hebel des Autotubes, desto größer schätzen wir die potenzielle Gefahr ein, dass der Hebel nach oben gezogen wird und sich dabei die Bremshand öffnet.
Ihr denkt, es macht keinen großen Unterschied, wenn sich der Daumen der Bremshand löst, weil die restlichen Finger ja das Seil umschließen? Ok, dann machen wir doch gemeinsam ein kurzes Experiment.
Szenario 1: Schließe Deine Hand zu einer Faust und lege wie auf dem ersten Beispielfoto oben den Daumen auf das 3. Glied Deines Zeigefingers. Nun zähle im Kopf von drei rückwärts und öffne bei 1 schnell die Faust.
Szenario 2: Schließe Deine Hand nun zu einer Faust und lege wie auf dem zweiten Beispielfoto oben den Daumen über das unterste Gelenk von Zeigefinger und Mittelfinger, mit leichtem Druck. Nun zähle nochmal im Kopf von drei zurück und öffne bei 1 schnell die Faust.
Hast Du den Unterschied bemerkt?
Kommt es zu einer unerwarteten Situation beim Sichern, geht alles so schnell, dass unsere Reflexe die Kontrolle über unsere Handlungen übernehmen. Mit der „Wächter-Methode“, bei der der Daumen stets über Zeigefinger und Ringfinger liegt, ist es sehr unwahrscheinlich, dass wir aus Reflex die Bremshand öffnen. Denn es ist schlichtweg schwierig, in dieser Haltung die Faust zu öffnen. Und deshalb plädieren wir dafür, dass die Bremshand möglichst IMMER in dieser Position am Seil ist – und das eben auch beim Seilausgeben! Deshalb: Hände weg vom Gerät! Und die Bremshand immer umschlossen am Bremsseil!
Denn damit bauen wir beim Sichern weitere Sicherheitsreserven auf.
Blicken wir nochmal auf die bereits zitierte Unfallstatistik und gehen ein bisschen ins Detail. 5 der 30 Bodenstürze passierten mit dem MegaJul. 3 davon ereigneten sich beim Clippen und somit beim Seilausgeben – vermutlich also in dem Moment, in dem der Blockiermechanismus aufgehoben wurde. Es müssen einige ungünstige Faktoren zusammenkommen (wie oben beschrieben), dass es zu so einer Situation kommt. Aber es ist eben keineswegs ausgeschlossen und somit können wir als sichernde Person versuchen, dieses Risiko so gut wie möglich zu minimieren.
Falls wir Dich bis hierhin überzeugen konnten, lohnt es sich für Dich, dranzubleiben. Denn in den kommenden Wochen werden wir die „Keine-Hand-am-Gerät“- Methode mit verschiedenen Halbautomaten vorstellen. Wir werden zeigen, wie Du Seil ausgeben kannst, ohne den Halbautomaten anzufassen. Und wir werden weiter versuchen, zu sensibilisieren, welche Gefahren lauern, wenn wir das Gerät beim Sichern anfassen.
Seilausgeben ohne Daumen-Methode? Wie das gehen soll? Wir beschreiben es in diesem Beitrag.
Schreibe uns, ruf uns an, besuche uns… welcher Weg auch immer Dich zu uns führt: Wir freuen uns auf Dich!
team@climbe.de
Tel.: 01573-7810193 (Máté Matolcsi)
climbe – Analena Rischpler und Máté Matolcsi GbR
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