Im Gespräch mit János und Máté

Warum sicher, wenn es auch sicherer geht?

Mit János von “Die Kletterschule” verbindet uns eine langjährige Freundschaft, Seilschaft und ein immer wieder sehr wertvoller Erfahrungsaustausch. Als Trainerkollegen verbindet uns der Anspruch nach einem möglichst hohen Sicherheitsstandard beim Klettern. Deshalb tauschen wir uns viel zu den Fragen aus: Warum passieren Unfälle? Wie können wir unseren Kursteilnehmer*innen Methoden lehren, die maximale Sicherheit gewähren? Und wie sensibilisieren wir ausreichend für die Gefahren, die lauern? 

Kürzlich haben wir mit unserer gemeinsamen Kampagne “Hände weg vom Gerät” gestartet, die in mancher Gruppe in den sozialen Medien einige Diskussionen ausgelöst hat. Die Methode, die wir in diesem Zuge vorgestellt haben, ist nicht von heute auf morgen entstanden. Auch darüber haben wir uns intensiv ausgetauscht – natürlich nicht nur in einem Gespräch ;). Aber ein Gespräch möchten wir gerne mit euch teilen. 

Sicher sichern - Unfälle vermeiden

Máté: János, Du kennst uns: Zahlen und Fakten sind uns wichtig. Und deshalb haben wir mal ein paar Studien und Unfallstatistiken gewälzt. Und siehe da: Die Zahlen geben uns Recht, über das Seilausgeben mit Rüsselgeräten nachzudenken. Denn die Mehrheit der Bodenstürze, beispielsweise mit dem MegaJul, ereignete sich laut DAV Kletterhallenunfallstatistik 2019 beim Clippen. Das lässt vermuten, dass es im Moment des Seilausgebens passiert ist, also in dem Moment, in dem die Blockierfunktion des Geräts außer Kraft gesetzt wurde. Du sagst schon lange, dass das ein Aspekt ist, bei dem sich das Unfallrisiko mit der entsprechenden Methode deutlich reduzieren lässt. Wie bist Du damals eigentlich darauf gekommen? 

János: Ich weiß, ihr liebt Zahlen ;). Ich bilde mir vor allem ein Urteil, indem ich die verschiedenen Geräte ausprobiere, ihre Funktionsweise teste und dann Rückschlüsse daraus ziehe, wo mögliche Gefahrenquellen liegen. Ich sichere nun seit mehr als 30 Jahren. Und hatte in diesen Jahren schon viele verschiedene Geräte in der Hand. Die Sicherungsgeräte haben sich immer weiterentwickelt. Die jahrelange Erfahrung ermöglicht es mir, “Schwachstellen” recht schnell ausfindig machen zu können. Fürs Grigri habe ich beispielsweise eine eigene Methode zum Sichern entwickelt, damals, noch bevor es die Gaswerk-Methode gab. Ich habe mit dem Seil eine Schlaufe um meine Hand gebildet und so gesichert. Ich wollte das Sichern schon immer ein bisschen sicherer machen. Damals sind noch wesentlich mehr Unfälle mit dem Grigri passiert als heute.

 

Máté: Aber ein Grigri-Fan bist Du nie geworden…

János: Ja, das stimmt! Aber zurück zu den so genannten Rüsselgeräten. Der Begriff hat in den sozialen Netzwerken auf unsere Posts hin ja einige Kritik erfahren. Dabei sprechen die Hersteller meist selbst über Rüsselgeräte und auch in DAV-Studien ist dieser Begriff üblich. Ich erinnere mich daran, als mir Chris Semmel den Prototypen des Ergo belay von Salewa in die Hand gedrückt hat. Anfangs war ich etwas skeptisch, weil das Gerät für mein Gefühl viel zu schnell blockiert hat. An sich fand ich das Gerät aber gut. Vor allem für Anfänger. Denn die Bedienung ist nicht so komplex, wie beispielsweise die korrekte Bedienung mit dem Grigri (Gaswerk). Der Hebel ist deutlich kürzer geworden, beispielsweise im Vergleich zum Mammut Smart. Doch es hat mir noch immer nicht gefallen, den Hebel mit dem Daumen der Bremshand nach oben zu ziehen, um Seil auszugeben. 

Máté: Warum nicht? So steht es ja eigentlich bis heute in den Bedienungsanleitungen der Geräte. 

János: Ja, so steht es da. Und die Herstellerempfehlungen sind auch vollkommen richtig. Denn sie weisen immer und sehr deutlich auf das Bremshandprinzip hin: Selbst wenn sich der Daumen öffnet, um den Hebel zu heben, die übrigen Finger dürfen das Bremshandprinzip nicht verletzen. Doch leider setzen sich viele Kletter*innen nicht so intensiv mit dem Thema auseinander und interpretieren diese Anweisungen ein bisschen auf ihre eigene Weise. Die Selbsterfahrung und auch die Erfahrung mit vielen Kursteilnehmer*innen und Anfänger*innen in den letzten 20 Jahren hat gezeigt: Öffnen wir den Daumen unserer Bremshand, öffnen wir leicht auch die restliche Hand. Ziehen wir mit unserem Daumen sogar aktiv etwas nach oben, beobachte ich noch häufiger, dass sich die restlichen Finger vom Bremsseil lösen. Und genau das bringt das Risiko mit sich. Stürzt der Kletterer oder die Kletterin im Moment des Seilausgebens, ist der Blockiermechanismus des Geräts außer Kraft gesetzt und es kann sein, dass sich die Bremshand vom Seil gelöst hat. Deshalb habe ich Bedenken bei dieser Methode und lehre in meinen Kursen eine etwas andere Handhabung.

Máté: Wie Du sagst, die Hersteller weisen explizit darauf hin, dass die restliche Hand das Bremsseil umschließen muss. Aber klar, ich sehe das schon auch so. Es gibt Haltungen, in denen sich die Bremshand leichter öffnet und andere, in denen sie sich deutlich schwerer öffnen lässt. Und es ist nunmal so, dass bei einem unerwarteten Sturz (wie es beim Seilausgeben wohl meist der Fall ist) unsere Reflexe oft schneller handeln als unser Gehirn. Bei jemanden, der sehr viel Erfahrung beim Sichern hat und bei dem sich nie Fehler eingeschlichen haben, sind die Reflexe gut trainiert und reagieren hoffentlich meist richtig. Laut Studien aus dem Jahr 2005 spielt die Erfahrung alleine jedoch keine große Rolle. Warum das so ist? Hat sich beispielsweise jemand über die Jahre hinweg den Fehler angeeignet, die Hand beim Ziehen zu öffnen, wird auch sein Reflex in diese Richtung trainiert sein. Bei Anfängern ist es nochmal etwas anderes. Bei ihnen ist das Sichern noch keine Routine, die Reflexe sind somit willkürlicher. Oft sorgen sie dann dafür, dass wir genau das Falsche tun. Nämlich in einer Panikreaktion den Hebel des Geräts weiter nach oben ziehen, die Bremshand womöglich dabei ganz öffnen. Leider spreche ich da aus Erfahrung. Denn ich hatte auf diese Weise einen schweren Kletterunfall und bin bis zum Boden gestürzt. 

János: Ich erinnere mich genau daran. Ich war sehr betroffen von der Nachricht Deines Unfalls. Der ungarische Schnaps, den ich Dir ins Krankenhaus gebracht habe, war alles, was ich in dem Moment für Dich tun konnte. Doch umso wichtiger ist es, dass wir in unseren Kursen eine Methode lehren, bei der das nicht passieren kann. Und wenn sie von Anfang an alles gut gezeigt bekommen und umsetzen können, schleichen sich erst gar keine Fehler ein.

 

Máté: Ja, das stimmt. Der Schnaps war gut. Aber noch besser wäre es, wenn solche Unfälle künftig nicht mehr passieren. Deshalb haben wir ja die Kampagne “Hände weg vom Gerät” gestartet, um auch außerhalb unserer Kurse auf die Methode aufmerksam zu machen. Denn es ist ja auch wichtig, dass sich Kletter*innen damit auseinander setzen, die längst über den Anfängerkurs hinweg sind. Ich denke, wir wurden da in der bisherigen Diskussion nicht immer ganz richtig verstanden. Wir wollen niemandem etwas vorschreiben, auch keine absolute Wahrheit propagieren. Es mag sein, dass erfahrene Sicher*innen Sicherheitsroutinen entwickelt haben, bei denen das Bremshandprinzip immer erfüllt ist und die viele Sicherheitsreserven bieten. Doch weil wir eben allzu oft beobachten, wie sich die Bremshand bei der Daumenmethode öffnet, möchten wir hier eine Alternative vorschlagen. Und freuen uns, wenn sich Kletter*innen damit auseinandersetzen und das Thema Sicherheit verstärkt in ihr Bewusstsein bringen. Magst Du nochmal kurz in Deinen Worten die Methode erklären?

 

Kampagne Hände weg vom Gerät

János: Das wichtige ist in meinen Augen, dass wir die Bremshand immer geschlossen halten. Der Daumen kontrolliert, dass die Finger nicht aufgehen. In eurem Blogartikel habt ihr das kleines Selbstexperiment beschrieben, das sehr deutlich zeigt, wann sich unsere Faust schnell öffnet, und wann es schwieriger ist. Mir gefällt auch der Ausdruck “Wächter-Methode” sehr gut, den ihr dafür benutzt habt. Damit wir die Faust also geschlossen halten können, sollten wir das Seil wenn möglich wie beim Tube durch das Gerät führen. Da es aber eben nunmal kein Tube ist, sondern ein Halbautomat, erfordert das etwas mehr Gefühl. Wir können das Seil nicht herausziehen, wie wir es bei einem Tube können, denn sonst würde es blockieren. Wir müssen es eher von unten durchschieben. Indem wir das Seil locker halten und durch das Gerät führen. Die geplanten Videos werden das veranschaulichen. Meine Erfahrung mit Anfänger*innen zeigt: Wenn wir das von Beginn an so lehren, können sie das schnell gut umsetzen. 

Máté: Stichwort “umsetzen”. Das ist schon etwas, was mir in meinen Kletterkursen sehr wichtig ist. Ich möchte keine Methode lehren, die zwar in der Theorie die sicherste ist, sich aber in der Praxis nicht oder nur schwer umsetzen lässt. Bei der Tube-Methode bei Rüsselgeräten hängt es nicht allein vom Timing oder dem richtigen Gefühl beim Seilausgeben ab. Ist das Seil ganz neu, läuft es vielleicht gut durch. Ist es bereits etwas älter, wird der Halbautomat öfter blockieren. Damit in diesen Situationen kein Stress bei der sichernden Person aufkommt, finde ich es wichtig, hier ein Vorgehen zu trainieren und so zu verinnerlichen, dass es quasi automatisch abläuft und niemand auf die Idee kommt, doch den Daumen zu benutzen.

 

János: Zum entblockieren reicht es, wenn man mit der geschlossenen Faust, beziehungsweise mit dem Daumensattelgelenk, von unten den Hebel leicht berührt. Hat man zuvor eine kleine Seilschlaufe gebildet, kann man das Seil gut durchziehen. Die Bremshand bleibt so immer unter dem Gerät. Unser Video veranschaulicht die Methode.

Máté: Wir haben einiges an Input bekommen in den letzten Woche zu unseren Gedanken, die wir veröffentlich haben. Auch wenn die Diskussionen ab und an einen ganz schön harten Ton hatten: Wir sind dankbar über Ideen, Anregungen und Feedback. Und wir möchten gerne weiter an diesem Thema arbeiten. Wir wünschen uns aber auch sehr einen konstrukiven Austausch. Denn vermutlich haben wir doch alle eine etwas ähnliche Vision: 0% Unfallquote und damit 100% Freude beim Klettern.