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Jessica erzählt ihre Geschichte

Jessica hat im Sommer 2020 ein individuelles Klettercoaching bei climbe gemacht. Danke, liebe Jessica, für diesen tollen Erfahrungsbericht!

Die Angst beim Klettern

Angst essen Seele auf. Der Titel des Fassbinder-Films von 1974 kommt mir immer wieder in den Sinn. Denn es stimmt: es gibt die Angst, die vor einer möglichen und ganz realen Gefahr warnen will. Die den Herzschlag beschleunigt, wenn man nachts auf dem Heimweg Schritte hinter sich hört. Die uns die Hand zurückziehen lässt, wenn der Nachbarshund die Zähne fletscht. Und es gibt die Angst, die Teil der DNA ist. Irgendwie immer da, irrational, diffus, scheinbar ohne Anlass. Die Angst, die zum Gefängnis werden kann, wenn wir so tun, als ob es sie nicht gäbe. Die müde macht und sich einfach nicht in Luft auflöst, so gern wir das auch wollen. Die die Seele frisst, wenn wir sie nicht an die Hand nehmen.

 

Was das mit Klettern zu tun hat? Für mich sehr viel, denn von Beginn an war die Kletterei mehr als den Körper in Form zu bringen oder mich fit zu halten. Ich treffe mich in jeder Route auch irgendwie selbst, mit allen Stärken und Schwächen. Und Angst kenne ich, so lange ich denken kann.

 

Dass ich irgendwann mit dem Vorstieg beginnen würde, war zumindest für mich nur logisch. Ich bin ehrgeizig, fordere mich gerne und liebe Herausforderungen. Die Routen in der nahe gelegenen Kletterhalle waren selbst im oberen Bereich gnädig und mein Kletterpartner hat mich immer ermutigt. Kein Problem, mach ruhig! Und genau so war es auch – alles kein Problem. Bis sie auf einmal wieder anklopfen, die Zweifel. Wie unliebsame Verwandte stehen sie auf der Matte. Sie melden sich erst leise, dann immer lauter. Kannst du das wirklich? Das ist viel zu schwer! Mit im Gepäck ist die Angst, die sich mit kalten Fingern um die Glieder legt, jedes Mal, wenn es raus aus der Komfortzone geht.

 

Es ist nicht so sehr das Fallen an sich, das mir Angst bereitet, es ist der Moment, wenn die Hand vom Griff rutscht. Es ist die Angst vorm Scheitern. Die Angst, meinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht zu werden. Und die sind hoch. Manchmal gnadenlos hoch. Gleichzeitig merke ich: das ist es. Das könnte mein Schlüssel sein. Wenn ich diese Nuss knacke, ist es ein Schritt raus aus dem Gefängnis namens Angst. Nicht der einzige Schlüssel, aber einer davon, ein wichtiger. So probiere ich rum, steige immer wieder vor, mit zittendern Knien, bis zur nächsten Exe. „Zu“! Das erlösende Wort, immer wenn ich endlich wieder kurz im Toprope bin. Kräfte sammeln, auf zur nächsten Exe, irgendwie hoch. Ich bin frustriert kurz vorm Aufgeben. Richtig rund läuft es nicht. Ist das wirklich mein Sport?

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Mein Weg zu climbe

Mir fehlen die Lösungen und auch meine Kletterfreunde sind ratlos. Positive Gedanken reichen einfach nicht und so zucken irgendwann alle mit den Schultern, inklusive mir. Vorstiegskurse gibt es viele, aber das ist nicht das Richtige. Ich klicke mich durch Facebook und das Internet und lande auf der Suche nach mentalem Klettertraining schließlich bei climBe Klettercoaching. Ein Einzeltraining, das gefällt mir. München ist deprimierend weit weg. Mit gutem Willen findet sich auch hierfür eine Lösung und ich treffe Máté schließlich in Kempten. Erwartungen habe ich ehrlich gesagt nicht wirklich, im Zweifel habe ich einen Klettertag gewonnen. Nach unserem Kennenlerngespräch auf der Terrasse dann die erste Überraschung – gleich in der ersten Route soll ich fallen. Jetzt schon? Kurz spüre ich Widerstand, aber dann regt sich die Neugier. Was soll`s, denke ich – jetzt oder später, gefallen wird eh. Ich mag Mátés ruhige Art und dass er gar nicht erst daran zweifelt, dass ich die Route schaffe. Ich bin mir da nicht so sicher, aber da geht es schon los.

Behutsame und langsame Annäherung

Máté erklärt mir die drei Stufen des Falltrainings – long story short: über die erste, das Fallen nach dem Klippen, ohne die Exe zu übersteigen, komme ich an diesem Tag nicht. Übrigens bis heute nicht, aber ich habe beschlossen, dass das okay ist. Beim ersten Mal ist die Überwindung loszulassen, riesig. Ich spüre die Angst, den Klumpen im Magen, die flache Atmung. Ein kurzer Kampf, dann lösen sich die Hände vom Griff, unwillig, aber ich schaffe es. Máté sichert weich, ich lande über zwei Exen tiefer. Puh, gut gegangen. Wir machen genau so weiter, ich klettere die Route zu Ende, klippe – und lasse los. Ich merke, wie es mir immer leichter fällt. Ich genieße es nicht, aber der Widerstand wird geringer und das Vertrauen größer. Gleichzeitig formt sich eine Frage, die ich mir schon lange stelle. Sturz- und Sicherungstraining beginnt meist ab der vierten oder fünften Exe, aber was passiert, wenn ich vorher falle? Könnte doch sein? Máté zögert nicht lange: „Nichts passiert, aber das probieren wir aus.“ Also wieder rein in die Route, Fallen an der ersten geklippten Exe. Máté sichert diesmal stramm und in der Tat – alles geht gut. Gleich nochmal, das fühlt sich richtig an! Kurz vermisse ich meinen Kletterpartner, das würde ich gern mit ihm ausprobieren.

"Máté akzeptiert mein Nein ohne Wenn und Aber"

Die nächste Route ist eine glatte 6 – ein Schwierigkeitsgrad, den ich im Toprope locker klettere, im Vorstieg aber für über meinem Limit halte. Ich spüre Zweifel, aber ich habe auch Lust und habe Vertrauen in mich und Máté gewonnen. Also starte ich durch. Gleich der dritte Zug ist furchtbar, ein Griff, der so gar nicht nach meinem Geschmack ist. Zange, abschüssig – nein, ich will nicht. Den halte ich nicht. Máté akzeptiert mein Nein ohne Wenn und Aber und versucht nicht, mich zu überreden. Ich entscheide. Das gefällt mir. Nachdem er die Route geklettert ist, wählen wir eine andere Strategie: ich klettere die Passage so lange im Toprope, bis ich mich sicher fühle. Erst dann wage ich mich an den Vorstieg. Es macht richtig Spaß, die Route zu erobern und sich Stück für Stück durchzuarbeiten. Am Ende komme ich flüssig durch die furchterregende Stelle. Da ist er- der berühmte Flow. Das Ziel beim Vorstieg war für mich immer vor allem ein Onsight-Durchstieg. Wenn ich das nicht schaffte, fühlte ich mich furchtbar und blieb deshalb meist in Routen weit unter meinem Toprope-Limit. Die Erfahrung, eine Route wirklich als Projekt zu sehen, bringt riesigen Spaß und ich merke, das will ich mit nach Hause nehmen!

 

Der Tag verfliegt nur so. Mit Máté lerne ich eine neue Kletterkultur kennen, in der ein glatter Durchstieg im ersten Versuch gar nicht das Ziel ist, sondern die Route – und auch der Umgang mit der Angst – als Prozess verstanden wird.

Was ich noch gelernt habe:

(1) Die Route schon am Boden analysieren: wo sind Griffe, wo sind Tritte, welche Passagen könnten schwierig werden?
(2) Pausen! Und zwar im Besten Fall, BEVOR die Arme brennen. Vom Rastpunkt die nächsten Züge planen.
(3) Die Route als einzelne Abschnitte betrachten. Onsight ist nicht das Ziel.
(4) Atmen! Mir hilft da meine Erfahrung mit Achtsamkeitspraxis und der Atem ist ein guter Anker, zu dem ich immer zurückkehren kann

Mut ist, Angst zu haben - und es trotzdem tun!

Aus jahrelanger Erfahrung im Umgang mit Angst weiß ich, es bleibt nur, sie zu akzeptieren. Sie geht nicht einfach weg, nur weil ich das gerne hätte. Umso mehr ich dagegen ankämpfe, umso größer wird der Stress. Wenn die Angst schon da ist, klettert sie eben mit.

 

Was mir persönlich noch hilft, wenn die Angst in der Route kommt und zu groß wird: Der „Fakten-Check“. Angst macht sich breit, wenn wir denken, dass etwas passieren könnte. Solche Gedanken fühlen sich zwar in dem Moment real an, aber sind sie wirklich wahr? Wo stehe ich und was könnte im schlimmsten Fall passieren? Bin ich hoch genug, dass auch im Sturzfall nichts passiert, klettere ich weiter. Bin ich noch relativ bodennah, bitte ich meinen Partner, mich stramm in die Sicherung zu nehmen. Das lässt mich die Angst gleichzeitig achtsam wahrnehmen und trotzdem die Kontrolle behalten.

 

Und natürlich: Fallen, fallen, fallen. Gleich meinen ersten Klettertag nach dem Training habe ich mit Falltraining begonnen.

 

Neben all den konkreten Tipps, die ich mit nach Hause genommen habe, ist meine wichtigste Erfahrung, dass es geht. Dass ich es kann. Das nehme ich nun in jede Route mit. Es klappt nicht immer. Vor allem, wenn Unruhe in der Halle ist, falle ich gerne in alte Muster. Ein weiter Zug? Ein blöder Griff? „Zu“! Aber ich bin freundlicher zu mir. Das ist kein Weltuntergang mehr.

 

Ja, Angst ist manchmal ein mieser Berater. Sie ist wie ein übervorsichtiger, anhänglicher Freund: nervig, aber mit guten Absichten. Da hilft nur ein Machtwort: Mut ist, Angst zu haben – und es trotzdem tun.

 

Am Ende des Tages bin ich übrigens noch eine 6 vorgestiegen. Onsight.